Alpentours Part V – Wilde Leck Ostgrat/ 3.359m/ Stubaier Alpen
Nach unserer Tour durch das Berner Oberland mit leichtem regnerischen Einschlag wollten wir Mitte September mit Markus noch einen schönen Ausklang für das Bergjahr 2011 finden. Diesmal sollte etwas mehr Luft und Fels unter die Sohlen, weniger Schnee und Eis. Außerdem dachten wir an eine schöne Verwöhnkur von der Sonnengöttin, die hatte sich nämlich als Begleiterin angekündigt. Nach der Begutachtung unserer Fähigkeiten und den täglichen Abgleich der Wetterdatenbanken haben wir uns den Ostgrat der Wilden Leck (3.359 m) im schönen Stubai als lohnendes Ziel auserkoren.
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TAG 1
Würzburg – Gries im Sulztal (1.569m) – Ambergerhütte (2.135m)
Also rein in die Karre, Motor an, in Würzburg auf die Schnelle ein Bier beim „Schönen René “ getrunken und Markus auf den Sitz verfrachtet, um dann am nächsten Tag in Gries im Sulztal das Auto pflichtbewusst auf den zugewiesenen Parkplatz abzustellen. Die Sonne lacht. Mit ein paar Kilo auf dem Rücken geht es den kurvenreichen Zufahrtsweg hinauf zur Ambergerhütte. Dank der geringen Belegung haben wir das 11 Mann-Lager für uns allein – da stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis :).
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Laut Wetterbericht ließ der Freitag auf ein paar vernünftige Stunden hoffen und der Samstag sollte Traumwetter für uns bereithalten. Also alles klar, am Samstag geht es auf die Wilde Leck und was machen wir am Freitag? Dank Gebietsführer, Karte und Tipps vom Hüttenwirt entscheiden wir uns für die Mutterberger Seespitze und ihrem Nordostgrat. Mit einem Plan im Kopf schläft es sich dann besonders gut. Es könnte aber auch an dem verwaisten Lager gelegen haben oder an der Tatsache, dass die Tour nicht mehr als 4 Stunden im Aufstieg in Anspruch nehmen soll!
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TAG 2
Ambergerhütte (2.135m) – Mutterberger Seespitze/ Nordostgrat (3.305m) – Ambergerhütte (2.135m)
Recht gemütlich geht es in der Früh zur Seespitze. Das Wetter ist ganz gut, die Beine gehen im Gleichschritt voran und so wundern wir uns nicht, als wir nach eingeplanter Zeit nach dem Überspringen von Wasserrinnsälen und dem Durchstieg einer Schuttrinne am Fuße des Bockkogelferner stehen. Und schon sind wir mit unseren Steigeisen auf dem 35° steilen aperen Gletscher unterwegs bis wir, wie in dem Führer beschrieben, an der Einstiegsstelle für den Nordostgrat stehen. Das bedeutet Steigeisen ab und Klettergurt angelegt und ran an den griffigen Fels. Etwas weiter oben ist die Wegführung nicht ganz so klar – der Grat ist erkennbar, aber durch eine große Abbruchkante unterbrochen. Also das Ding umgehen – logisch! Markus, unser Vorturner probiert es links herum und kehrt um. Keine Möglichkeit für uns unbeschadet davon zukommen. Also rechts herum – aber dort sieht es noch schlechter aus! Es sollte doch maximal eine 3 zum Klettern sein, hier sind aber nur 5er und schwerer zu finden. Verdammt! Alpengebietsführer raus und schauen, wo wir uns verstiegen haben. Da unsere Route von oben bestens einsehbar ist, wird uns schnell klar – wir sind genau da, wo uns die Tourenbeschreibung haben will. Bloß weiter geht es nicht. Das Gipfelkreuz können wir sehen, aber von dieser Stelle ist es für uns unerreichbar. Was bleibt? Natürlich in großer Manier drehen wir etwa 200 Höhenmeter unterhalb des Gipfels um und treten den Rückweg an. Das ist doch die wahre Größe eines Bergsteigers!
Die Mutterberger Seespitze wollte uns aber noch nicht ganz gehen lassen und hat aus dem kleinen Fluss von heute Morgen einen ordentlichen Gletscherabfluss wachsen lassen. Irgendwo müssen wir da irgendwie hinüber. Und das gleich mehrfach, da die Wassermassen wie eine Krake mit 1000 Armen den Fels umschlingen, um in das Tal hinab zu stürzen. Während Markus flussabwärts eine ruhige Stelle sucht, gelingt es Claudy und mir bereits weiter oben durch einen tollkühnen Sprung diese Hürde zu meistern. Markus derweil sucht und sucht und sucht… und findet schließlich weit unten im Tal :) Wir treffen uns dann erst wieder kurz vor dem Bierausschank.
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Als wir gegen 17 Uhr die Hütte erreichen, müssen wir feststellen, dass hier noch einige Naturliebhaber versuchen, einen schönen Abschluss für das Bergjahr hin zu bekommen. Die Hütte ist voll bis unter das Dach und aus unserem gemütlichen Lager ist ein kleines Tollhaus geworden. Am Abend prüfen wir bei Bier und lecker Essen nochmals eingehend, wie denn unser heutiger Verhauer passieren konnte. Wir sind uns keiner Schuld bewusst, alles wie beschrieben! Für die Gegenprobe borge ich mir mal eben den Gebietsführer von unseren Nachbarn, der durch seinen Glanz auf die neueste Generation hinweist. Und was findet man da unter der Route 2261? – NICHTS! Kein Eintrag vorhanden! Die Route ist nicht mehr existent! Da sind wir platt! Ein Blick in das Impressum ist dann schnell des Rätsels Lösung: unser Führer aus dem Jahr 1982 vs. 2006! Auch in diesem – geologisch gesehen – sehr kurzen Zeitraum scheint sich hier etwas zu verändern. Das erklärt wohl auch die gesichtete Abbruchkante am Grat. Gut zu wissen, dass unser Topo für die Wilde Leck aus dem Netz und somit kaum älter als 2 Monate ist :).
Mit reinem Gewissen gehen wir frühzeitig schlafen, um für morgen fit zu sein. Wir sind die Ersten im 11-Mann-Lager und gegen 21 Uhr treffen noch weitere Mitschläfer ein. Wir sind nun zu 8. Wir versuchen weiter zu schlafen mit der Gewissheit, dass die restlichen 3 Kameraden spätestens um 22 Uhr erscheinen werden. Und so ist es dann auch. Pünktlich 22 Uhr tanzt das Stirnlampenlicht durch das Lager und die freien Schlafplätze werden gesucht. Es sind aber mehr als 3 – es ist eine ganze Gruppe mit Sack und Pack! Der Chef stellt für alle laut hörbar fest: „ Insgesamt passen 11 Leute ins Lager! Dahinten liegen 3 und hier vorn 5. Wir sind 6 Leute. Da bleiben noch 3 freie Plätze. Wir sind 6. Da fehlen noch 3!“ Prima! Scheint ein Mathe-Lehrer zu sein – Lautstärke und Ergebnis stimmen schon mal. Und weiter geht es: „Hier liegen 3 Leute falsch im Lager! Hallo! Hallo! Wir haben diese Schlafplätze zugewiesen bekommen! Aber ich rechne lieber nochmal nach: Insgesamt passen 11 Leute ins Lager! Dahinten liegen 3 und hier vorn 5. Wir sind 6 Leute. Da bleiben noch 3 freie Plätze. Wir sind 6. Da fehlen immer noch 3!“ Nachdem alle im Lager versichert haben, dass sie hier richtig liegen und auch sein Rechenergebnis bestätigt wurde, verschwindet die Gruppe. Die Ruhe hält aber nur kurz an, denn die Gruppe kehrt mit dem Hüttenwirt zurück. Licht an und nachzählen: „Insgesamt passen 11 Leute ins Lager! Dahinten liegen 3 und hier vorn 5. Wir sind 6 Leute. Da bleiben noch 3 freie Plätze. Wir sind 6. Da fehlen immer noch 3!“ Das hatten wir doch schon und ich hätte gern das Ergebnis vorab heraus gebrüllt und das Licht aus geschossen!!! Waaahhh!!! Mit Hilfe des Hüttenwirts wird nach einiger Diskussion festgestellt, dass die Gruppe zwar richtig rechnen kann, es aber mit dem Lesen nicht so genau nimmt. Sie haben das falsche Lager ausgesucht für Ihre Mathematik-Olympiade! Die fehlenden 3 Schläfer erscheinen dann mit Getöse etwa 15 Minuten später im Lager. Gut, dass wir eine frühe Zubettgehzeit gewählt haben.
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TAG 3
Ambergerhütte (2.135m) -Wilde Leck/ Ostgrat (3.359m) – Ambergerhütte (2.135m)
Am nächsten Tag geht es nach gutem Frühstück erst 7:30 Uhr auf unsere erste Grat – Tour, auf die Wilde Leck. Mechanisch und bei bestem Bergwetter geht es über Wanderweg bis zum Gletscher und von dort mit den Eisen am Fuß gebunden hinauf zur Einstiegsstelle der bevorstehenden Kraxelei. Der Grat ist deutlich sichtbar und für den Weg dort hinauf gibt es mehrere Möglichkeiten. Vorbei an einem Steinmann steigen wir in die Wand ein. Markus übernimmt wieder die Vorturnerei und fühlt sich zunehmend unwohl im brüchigen Fels. Ach wären wir doch nur schon oben auf dem bombenfesten Granitgrat. Sind wir aber nicht, sondern noch im Bröselgestein unterwegs. Etwas länger als geplant dauert es dann schon, bis wir unser Gesäß auf den Grat platzieren dürfen – PAUSE! Von hier geht es nun weiter mit Seil und Zwischensicherung. Der Weg ist klar, das Gipfelkreuz sichtbar, die Sonne scheint, keine Wolke ist zu sehen und hinter uns kommt auch niemand mehr. Der Grat wird zur Genusskletterei mit viel Luft unter den Füßen und atemberaubenden Ausblicken. Mit guten Willen und etwas Armkraft schaffen wir auch die etwas kniffligeren Stellen und können uns unversehrt am Gipfelkreuz die Hände schütteln. Nun haben Claudy und ich auch eine Vorstellung, was es bedeutet, eine 4 im Freien zu klettern.
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Irgendwie ist uns die Zeit etwas davon geeilt und wir sehen zu, dass wir durch die Südwand nach unten kommen. Hier dürfen wir noch eine 2 absteigen, welche mit einigem Geröll gespickt ist. Klappt aber auch ohne Verluste. Wir zünden nun den Turbo, denn die Dunkelheit lässt langsam grüßen, während die untergehende Sonne die Bergwelt vor uns in einen roten Mantel zaubert. Die Hütte winkt schon von Weitem mit einladendem Licht und die Schritte werden immer schneller, aber die Hütte kommt irgendwie nicht näher. Verdammt! Aber auch das schaffen wir noch. Das Bierchen steht gekühlt bereit und auch zu Essen wird uns noch kredenzt. Die Hüttenwirtin war schon etwas aufgeregt, da wir erst bei Dunkelheit eintrafen. Sie hatte uns bereits in der ganzen Hütte gesucht…
Nach so einer Tour schmeckt irgendwie alles gut, insbesondere ein kühles Blondes… Liegt das dann daran, dass man stolz auf seine persönliche Leistung oder dass man ausgepowert ist oder einfach nur an der 12 -Stunden-Nonstop- Frischluft-Kur. Eigentlich egal – Prost!
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TAG 4
Ambergerhütte (2.135m) – Gries im Sulztal (1.569m) – Würzburg
Der Rest ist schnell erzählt. Geschlafen haben wir ohne Mathematik Lehrer und zwar ausgezeichnet. Ausgeruht und froh über eine späte Frühstückszeit ging es hinunter nach Gries, rein ins Auto, zurück nach Würzburg mit einem obligatorischen Stopp für ein Eis bei Mc Doof und schließlich pünktlich zum Tatort wieder zu Hause.
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Über den Tatort weiß ich nichts mehr, aber an die Tour werde ich mich noch lange Jahre zurück erinnern. Und das ist auch gut so! Immerhin muss ich mich ja mit irgendetwas über die mir aufgezwungene Bergpause retten, die ein so blöder Archillessehnenriss mit sich bringt. Zumindest kann ich mit dem riesigen Gehschuh an meinem Fuß fleißig üben, die Beine schön weit anzuheben, in der Hoffnung, mit diesem Training ab Ende August die Alpenregion wieder unsicher zu machen…
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Mit den besten Grüßen aus dem Lazarett und von der Flachlandtirolerin Claudy, die bereits fleißig den höchsten Gipfel der Niederlanden ein geheimst hat und momentan die höchste Erhebung an der deutschen Ostseeküste sucht :)
Kriese