Auf dem Weg zum nahesten Punkt zur Sonne

Ecuador Part III – Unter Vollmondlampe auf dem Monsterweg zum Whymper Gipfel/ Chimborazo, 6.310m

Der Ruhetag vom Cotopaxi war vollbracht, zweimal empfing uns an der Straße unseres Hostels in Riobamba eine Kinderparade mit phantasievollen Kostümen und spaßiger Musik. Irgendwelche Jahrestage wurden hier begangen. Außerdem zeigte der Wettergott, wer hier das Sagen hatte und ließ es zum Nachmittag hin immer kräftig schütten. Dank der südamerikanischen Bauweise schafft man es jedoch, in einer Stadt im Platzregen von A nach B kaum nass zu werden :)

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Der Ablauf zum Berg ähnelte dem des Cotopaxi, lediglich die Anfahrt zur Hütte war kürzer, das Wetter eher suboptimal, ein paar grazil umher springende Vikuñas bereiteten ein Postkartenmotiv und die Aufregung war um ein Vielfaches größer!! Immerhin ging es um den höchsten Berg von Ecuador, um einen Berg unserer 7andessummits und um den höchsten Berg, den wir bis dato bei einem Gipfelerfolg geschafft haben könnten!

Der Weg zum Chimborazogipfel ist mit 2 Hütten bestückt, wobei an der ersten Carrel-Hütte auf 4.850m Endstation für den Jeep ist. In dieser werden wir schon mal kräftig von Patricio gemästet, während wir das bunte Treiben draußen und drinnen am kleinen Kaminfeuer beobachten. Bis zu dieser Hütte juckeln tatsächlich Ausflugsbusse hoch und lassen Leute in den spektakulärsten und schillerndsten höhenuntauglichen Klamotten aussteigen. Immer wieder erstaunlich und fragwürdig, welch Vorstellung so Mancher von knapp 5000m hat. Wir stattdessen steigen weiter auf und nutzen die Whymper-Hütte auf 5000m als Ausgangspunkt unseres finalen Gipfelsturms. Andere Gruppen werden ihren Anstieg in der Nacht von der Carrel-Hütte aus beginnen…

Das Fassungsvermögen der Whymper-Hütte ist um einiges kleiner als am Cotopaxi, was das ganze etwas gemütlicher werden lässt. Zudem knistert auch hier ein kleines Kaminfeuerchen, um welches sich in Discoklamotten geschmissene Teenies dicht an dicht drängen. Von einer Akklimatisierungstour höher hinaus sehen wir schnell ab, nachdem draußen ein kräftiger Hagelschauer eingesetzt hatte und binnen kurzer Zeit das Geröllfeld um uns herum in eine weiße Fläche verwandelte. Wir vergnügten uns mit unserem allseits geliebten höhentauglichen Spiel Shit Head (mit den besten Grüßen an Harald, James und Franz an dieser Stelle:) und amüsierten uns ein wenig mit dem Hüttenwirt David, während Patricio eine kleine Siesta hielt… Eine einheimische Familie hatte stark gegen Kälte und Höhe zu kämpfen, sie hatten sich ihren Wochenendurlaub sicher auch etwas anders vorgestellt. Wahrscheinlich lockt die Hütte für Geringverdienende, Übernachtungsgebühren zahlt man hier zumindest nicht. Zwangsweise landete die Familie zum Schlafen irgendwann mit den Matratzen vom Dachgeschoss um den Kamin, was unsere eh recht kurze mit Dämmerungsphantasien geprägte Nacht mit massig Lärm durchzog, unsere Bewegungsfreiheit beim mitternächtlichen Frühstück stark einschränkte und uns wegen des Rauchs die wertvolle Luft nahm. 23.00 Uhr läutet am Chimborazo der Wecker und lädt zum Frühstück ein. Verrückt! Dieses Mal waren es nur ein paar Happen, was sicher an der Aufregung lag, aber auch an der Uhrzeit und der guten Mästungsanlage ein paar Stunden davor:)

Und wieder hatten wir wahnsinnig großes Glück mit dem Wetter! Über einem imposanten Wolkenmeer thronte der Vulkanriese. Seine Höhe beschenkte uns mit einem freien Blick auf das Sternendach mit seinem lächelnden Mond. Der Mann darin hatte die höchste Watt-Glühbirne herausgezaubert die ging und leuchtete uns damit den Weg nach oben. Erneut konnten die Stirnlampenbatterien geschont werden. Wir folgten unserem eigenen Schatten. :-) Es ist windstill und für diese Höhenlage angenehm warm… Über verschneites und später vereistes Blockgelände schaffen wir unsere ersten Höhenmeter bis zu einem Grat auf 5.600m. Wir fühlen uns gut! Jedoch stellte Kriese eine Frage, deren Antwort uns die Kinnlade herunter klappen ließ… Kriese fragte nach dem weiteren Weg, durch des Mondes Licht war es gut möglich, die Dimensionen des Koloss zu erfassen. Der weitere Aufstieg geht direkt! Wie direkt? Zack, direkt gerade hoch, zeigte uns Patricio. Waahhhhh!!! Was dann folgte war ein Monsteranstieg sondergleichen, noch nie zuvor erlebt und unvorstellbar, es nochmals zu erleben! 700 Höhenmeter trugen uns unsere Beine auf der bis z.T. 45° steilen Direktpassage nach oben, über Eis, Schnee und Spalten hinweg. Schritt für Schritt. Das konnte unmöglich der richtige Weg sein! Kleine Fähnchen als Wegmarkierungen behaupteten jedoch das Gegenteil! Schritt, Schritt, Eispickel rin …  Schritt, Schritt, Eispickel rin… gemächlich, langsam, aber stetig stiegen wir höher. Der Weg an sich eignete sich eher weniger für Trinkpausen zur körperlichen und mentalen Stärkung. Für Letzteres war die Musik im Ohr zuständig, ein „Cherry cherry Lady“ ließ für kurz die Aufstiegsqualen vergessen. :) Nicht das Steigen an sich ist, was quält, aber dieses wenig abwechslungsreiche und ausdauernde steile Steigen. Das eigene Durchhaltevermögen wird beim Chimborazoanstieg bis auf das Äußerste ausgereizt! Und das Schlimme: es schien kein Ende zu nehmen!! Nach einer gefühlten Ewigkeit waren erst 300 Höhenmeter geschafft… das konnte unmöglich stimmen! Der Aufstiegsoptimismus schien zu kippen, die Ausdauer ausgeschöpft, der Gedanke ans Umkehren klopft an…Positiv denken! Wir müssen positiv denken! Wir sind bereits so hoch wie auf dem Gipfel des Cotopaxi! Nur noch 400 Höhenmeter! 400 Höhenmeter! Einfach Schritt für Schritt weiter, einfach laufen, einfach nach oben steigen, das Direkte bringt uns schneller Höhenmeter… die Kraft ist da!

Die Wegbeschaffenheit verschlechtert sich. Schritt, Schritt, Eispickel rin – und entschwunden. Mist, die investierte Kraft verpufft im luftigen Nichts. Es bringt den Rhythmus durcheinander! Rausgezogen, weiter, Rhythmus wieder finden bis der Eispickel erneut verschwindet. Kriese derweil hat noch mehr zu kämpfen. Wegen seiner Größe und seines entsprechenden Gewichts bricht er immer häufiger ein. Das Bein baumelt in einem bodenlosen Schneehohlraum. Das Rauswinden raubt beinahe alle Kräfte und macht müde.  Roboterhaft schieben wir uns weiter nach oben!

Und schließlich beginnt die Gänsehaut. Die Kälte ist es nicht. Es ist ein übermannendes Gefühl, was uns frösteln lässt. Die Vorfreude. Es kann nicht mehr weit sein, der Weg scheint eine Kuppel zu werden. Jawohl, wir laufen auf einer Kuppel! Patricio meinte, in einer halben Stunde seien wir auf dem Ventemilla-Gipfel. Innerlich beginnt es zu Jubeln. Eine halbe Stunde noch, so überschaubar! Mir gab es neue Kraft, während Kriese aus seiner Müdigkeit nicht mehr herausfand. Es ist ein überwältigender Moment, so unbeschreiblich, was es mit einem macht, wenn die Wegführung allmählich in die Waagerechte übergeht! Erwartungsfroh gehen wir dem Moment entgegen, in welchem das Darüberhinweggucken nur noch ein Müh entfernt sein konnte! Im rotschimmernden Morgengrauen und mit dem Vollmond im Gepäck erreichen wir schließlich 5 ½ Stunden nach Aufbruch um 5.45 Uhr den 6268m hohen Ventemilla. Yaaalllaaaaahhhhh :)

Es ist relativ windstill, Füße und Finger haben noch Gefühl und die Sonne scheint schon bald unsere Nasenspitzen zu kitzeln, was Wärme versprach. Wir wagen es. 30 Minuten, so heißt es, dauert der Aufstieg zum Whymper-Gipfel. Über eine faszinierende Landschaft aus Schneewüste mit dem lachenden Vollmond hoch oben als besondere Beigabe begeben wir uns geradewegs zum höchsten Punkt von Ecuador und fallen uns wenig später auf 6.310m glücklich in die Arme. Wir haben es geschafft!! Unsere Mühen werden erneut mit einem Panorama belohnt, welches nicht atemberaubender hätte sein können. Neugierig durch das Wolkenmeer ragten in der Ferne der Cotopaxi, der Cayambe und der Antisana ihre Köpfe empor, um uns zu unserem Gipfelerfolg zu gratulieren. Der Sangay gab vor lauter Freude ein paar Rauchzeichen, die wir leider nicht entziffern konnten :)

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Bekanntermaßen ist der Gipfel beim Bergsteigen nur der halbe Weg und im Gegensatz zum Cotopaxi graute es uns davor. 7.00 Uhr begaben wir uns in die steile Abstiegspassage, was alles andere als ein Vergnügen war. Kein easy going dieses Mal, eher körperzehrend. Kriese brach viele Mal ein, während ich mir fleißig zuredete, ein Engel zu sein, der über die Schneedecke hinwegschwebt. Zum großen Teil hat es funktioniert :) Mit monsteraufgeblähten Oberschenkeln erreichten vollkommen platt die 1. und schließlich die 2. Hütte. Vollkommen platt von den Kräften her, vollkommen platt von unserem Bergerlebnis Chimborazo, vollkommen überwältigt von unserem Abenteuer und Gipfelerfolg an diesem Monsterberg!

WOW!

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Zurück in Riobamba belohnten wir uns mit einer leckeren Pizza und einer prickelnden Coke, bevor wir dann nichts anderes taten als zu entspannen und nichts zu tun und das Ganze eingeordnet zu kriegen :) Einzig das wohlverdiente Gipfelbier blieb aus, sonntags wird in Ecuador kein Alkohol verkauft :o

Eine Woche ist es nun bereits her, dass wir auf dem höchsten Punkt der Erde gestanden haben. Der Chimborazo, so wird er oft auch angepriesen, ist wegen seiner Nähe zum Äquator und der ellipseförmigen Gestalt unseres Planeten nämlich auch der Punkt, der am weitesten vom Erdmittelpunkt entfernt ist:)

Eine Woche Entspannung im Süden von Ecuador liegen hinter uns, davon dann mehr in einem letzten Newsletter aus diesem kleinen Andenstaat.

Morgen begeben wir uns auf eine lange Busreise durch Peru, der nächste Berg hat schon angeklopft :)

Wir freuen uns über die vielen positiven Rückmeldungen, schicken Euch in den November mit dicken fetten Sonnenstrahlen aus dem Tag der Langlebigkeit und sagen

hasta luego

Claudy y Christian

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