Venezuela Part V – den höchsten Berg von Venezuela verpasst, Besteigung des Pico Humboldt, 4.940m gelungen
Anfang Oktober war es endlich soweit, den höchsten Berg von Venezuela, den 5007m hohen Pico Bolívar zu besteigen. Dank Markus von der Posada trafen wir auf die äußerst sympathischen Menschen von der Agentur Gravity-Tours und auf unseren astrein Englisch sprechenden Guide Junior.
Er underdressed und wir overdressed schafften es leider nicht, die jahreszeitlich bedingte technische Herausforderung am Pico Bolívar zu bezwingen.
Doch was bleibt, sind wieder 1000 neue Eindrücke und Erinnerungen an eine verrückte und grandiose Tour durch Méridas Bergwelt.
Mit einer rasanten Jeepfahrt auf dem „Bolívar Highway“ begann unser Abenteuer. Durcheinander gerüttelt versuchten wir, diese atemberaubenden Momente vorbei an tief abfallenden Straßenschluchten, entlang grandioser Bergpanoramen mit schlangenanmutenden Verkehrswegen, über „bridge of wheels“ und erdrutschbarrikatierten Pfaden irgendwie möglich auf Fotos festzuhalten. Nu ja, very drunk… :)
Kurz vor unserem Ziel, dem idyllisch und abseits gelegenem Bergdorf Los Nevados dann Endstation! Hier versuchte gerade ein Bagger, den Weg von einem Erdrutsch zu befreien. Den Rest des Weges genossen wir mehr oder weniger in der Mittagshitze per pedes bis zum Dorf. Unser Fahrer erzählte uns später, dass er erst Mitternacht zurück in Mérida gewesen sei, da noch weitere Erdrutsche die „Straße“ unpassierbar machten…
Für ca. 5 Euros genehmigten wir den Transport unseres Gepäcks zum ersten Camp den taffen Mulis, die freuten sich wahrscheinlich und schrien, was das Zeug hielt :)
Regen sagte uns im ersten Lager Gute Nacht, um schließlich am nächsten Morgen der Sonne Platz zu machen, die uns freudig begrüßte. Junior stattdessen schimpfte, er hatte das Essen über Nacht außerhalb seines Zeltes gelassen, so dass Hunde sich daran ergötzten! Es fehlten zum Beginn des 2. Tages nun wichtige Essensrationen – die Diät beginnt und für Junior eine lange Zeit in Mérida, in welcher ihm diese im Nachhinein amüsante und dämliche Geschichte nachhängt :)
Insgesamt entpuppte sich Junior als ein Guide, der selbst hier und da geführt werden musste – vor einem Jahr war er das letzte Mal in den Bergen, sonst führt er eher Raftingtouren und Touren in die Pampa Los Llanos… so verirrten wir uns am zweiten Tag leicht im Nebel, pausierten mit Junior nach jedem 5. Schritt, was den Tag unendlich in die Länge ziehen ließ und auch hätte gefährlich enden können… in der Abenddämmerung schließlich erreichten Kriese und ich im Nebeldunst die mystisch erschaudernde Bergstation der höchsten und längsten Seilbahn der Welt, der Teleférico de Mérida und mit ihr den Gipfel des Pico Espejo, 4.765m hoch. Es gruselte uns! Der zuvor wundervolle Sonnenuntergang entwich einem Gewitter direkt über uns. Und Junior weit abgeschlagen irgendwo nun mittendrin…Leichte Panik machte sich in unseren Bäuchen breit, nicht wissend, was wir tun sollten… Nach einer gefühlten Ewigkeit endlich erblickten wir in der Ferne das Stirnlampenlicht von Junior, liefen ihm entgegen, halfen ihm, sein schweres Gepäck zu tragen und erreichten zum 2. Mal nun mit Guide viel zu spät die Seilbahnstation auf 4.700m! Es war schweinekalt und unheimlich! Und Junior entkräftet aufgrund seiner geringen Kondition und schlechten Akklimatisierung. Er schaffte es jedoch, uns mit Wasser und Essen zu versorgen. In der Ferne ein atemberaubendes Gewitterleuchtenspektakel en gros (dem sogenannten Relámpago de Catatumbo) und weit unter uns die flackernden Lichter von Mérida.
Welch krasse geisterhafte Gegend auf diesem Gipfel! Die Teleférico ist bzw. war die Touristenattraktion in Mérida, wenn sie massenhaft die nichtsahnenden Leute von 1.600m auf 4.700m hochhievte! Unglaublich die technische Umsetzung, unglaublich die Naivität und Vergewaltigung der schönen Bergwelt. Die Seilbahnstation ist momentan stillgelegt, weil, so uns Junior erzählte, diese verstaatlicht und außer Betrieb genommen wurde, obwohl sie noch funktionstüchtig sei. Ab und an würde sie noch zur Bergrettung und zum Transport von Bergsteigern genutzt. Ein österreichisches Bauunternehmen hat gerade seine Finger im Spiel bei der Restaurierung… möge diese noch lange anhalten… oder wegen uns, gleich abbauen das Ding! Touristen gibt es in Venezuela eh gerade sehr wenige, wie uns verschiedene Leute erzählten und wir selbst nur bestätigen können.
Die eiskalte Nacht hat Junior wieder etwas klarer gemacht, ihm ging es besser. Wir stattdessen konnten uns ob der Höhe nicht beklagen, die Akklimatisierung auf dem Pan de Azúcar war optimal :)
An diesem Tag nun sollte es auf den Pico Bolívar gehen. Ca. eine Stunde laufen wir von der Seilbahnstationshütte zum Basislager 100Hm unter uns direkt vor die riesige Felswand. Das Wetter klarte auf, fetter blauer Himmel, tolle Sicht, alles sprach für uns für einen Gipfelerfolg! Noch immer gestaltete sich der Aufstieg wegen der schlechten Kondition von Junior mühsam, bis es schließlich direkt in die Wand ging, in der ab nun uns Junior per Standbau sichern musste. Entlang von Schnee und Fels hangelten wir uns 3 Seillängen nach oben, bis es schließlich nicht mehr weiterging! 170 Hm unter dem Gipfel mussten wir das Unterfangen abbrechen. Schneemassen hatten sich an dieser Stelle an eine Steilwand gedrückt, Junior fand keinen Halt, keinen Tritt, keine Möglichkeit, voranzukommen, ohne sich und uns in Gefahr zu bringen. Das Wetter spielte verrückt, schlug um, es schneite… Abseilen! Die erste Niederlage im Gepäck? Ohne uns, wir hofften, es am nächsten Tag erneut versuchen zu können…
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Unten im Basislager schließlich ein ewiges Hin- und Herüberlegen, das Durchspielen der verschiedenen Optionen. Nur Herr Zufall konnte uns an dieser Stelle weiterhelfen, wir könnten warten, einen Tag, zwei Tage im Basislager und auf Herrn Zufall hoffen, dass diese Schneedecke abrutscht. Darauf wollten wir letztendlich doch nicht setzen. Auch nicht auf die abenteuerlustige und gefährlich klingende Idee von Junior, wie er diese Wand bezwingen könnte. Wir setzten stattdessen auf weiteres Bergvergnügen und Berggenuss und auf unser Leben und entschieden, nach einer weiteren Nacht in der Seilbahnstationshütte den Weg über La Travesia vom Basislager Pico Bolívar zur Laguna Verde, dem Basislager des zweithöchsten Berges Venezuelas, dem Pico Humboldt zu gelangen.
Unsere Entscheidung beschenkte uns mit einem feurigen Sonnenuntergang unter sternenklarem Himmel! Es gibt so viele Gründe wie es Augenblicke gibt…
Die La Travesia war ein easy going Unterfangen für uns (für Junior könnt ihr sicher schon erahnen :) ), eine Trekkingstrecke zum Beinevertreten über einen Pass mit dem faszinierenden Tiefblick auf die Lagune und einer spaßigen Geröllabfahrt. Der dabei einsetzende Regen war dann weniger vergnüglich, für die am Basislager eintreffende 30kopf große Jugendgruppe noch weniger, hier hätte es sehr leicht und schnell zu einer Katastrophe kommen können! Nicht nur, dass die Jungs und Mädels schlicht falsch gekleidet waren für eine Schlechtwettersituation, auch organisierten sie sich schlecht und langsam beim Aufschlagen ihres Zeltlagers. Immerhin liegt die Lagune auf 4000m. Es drohten Unterkühlungen und Symptome der Höhenkrankheit. Junior gab Anweisungen, was zu tun sei und wir halfen mit etwas Equipment aus… Irgendwie überstanden wir alle die nasse und kühle Nacht… Junior in Fleece und Strümpfen von uns :)
Die Naivität der Jugendgruppe ging am nächsten Tag weiter… Im Stirnlampenlicht brachen wir mit Junior auf, den Pico Humboldt zu erklimmen. Viel zu langsam stiegen wir über Felskletterei, Geröll und einem rundgelutschten z.T. sehr steilen Traumgletscher empor! 6 ½ Stunden später standen wir 11.30 Uhr auf dem zweithöchsten venezolanischen Andengipfel bei bestem Wetter und bei faszinierender Weitsicht, was bei Junior ein lautes „Cumbre“ ins Tal hinab schrien ließ. Und wir trauten unseren Augen nicht! Ca. 15 Leute der Jugendgruppe sind 2 ½ Stunden später als wir vom Basislager aufgebrochen! Auf dem Gletscher schließlich die Begegnung mit etwas, dass sie wohl auch Seilschaft nannten. Wir dagegen sahen uns in einen falschen Film katapultiert. Das war der Wahnsinn, was wir sahen!!! Dicht an dicht drängten sich mit einem Seil zwischen den Beinen in den bloßen Händen die jungen Menschen auf dem weißen Zeugs an Spalten vorbei!! Warnungen unsererseits wurden ignoriert, wie ein Mantra redete der Seilschaftsführer immer wieder „Cumbre, cumbre, cumbre“ Kriese ins Ohr…. Das größte Glück, was diese Leute an diesem Tag hatten, ist, dass das Wetter sich von früh bis in die Nacht hinein von seiner besten Seite zeigte. Bei einem Wetterumsturz mit Nebel und Regen hätte es an diesem Tag Tote gegeben!
So konnten wir uns doch alle an unserem Gipfelglück erfreuen und an einer Nacht unter einem schillernden Sternenhimmel….
Die Essensreste verarbeitete Junior zu einem zauberhaften Menü: Kartoffelbrei mit Nudeln und a bissl Zwiebel und Tomate… wir müssen eingestehen, es hat nicht schlecht geschmeckt! Aber wahrscheinlich hätte er uns sonst was vorsetzen können, nach 5 anstrengenden Tagen ist alles Gourmet :)
Am 6. Tag schließlich steckten wir wieder 1.700Hm Abstieg in unsere Knochen. Doch das war wohl das kleinere Übel. Nach einem anfänglichen glattgeschliffenen Felslabyrinth, einem Canyon gleich, kamen wir schon bald auf einen unwegsamen Pfad mitten durch den Nebelwald hindurch. Permanent hingen uns irgendwelche Zimmer- und Balkonpflanzen im Gesicht, hielten uns am Rucksack fest oder zerrten Kriese seine Brille von der Nase. Der im Nachhinein wirklich anstrengendste Teil der gesamten Tour! Kriese verflucht es und sagt, nie wieder Dschungeltrekking!! :)
Gustavo, der Boss der Agentur, empfing uns lächelnd im Tal von La Mucuy. Ich begrüßte ihn mit einem „hungry!“ – so dass es alsbald tatsächlich noch etwas zu essen im Riko Pollo Schnellimbiss gab als kleine Entschädigung für die ungewollte Diät….
In Mérida angekommen befreiten wir uns von kiloweise Dschungelzeugs, erzählten die verrückten Geschichten weiter und machten uns am Entspannen im Sonnenschein :)
Gestern Abend ging es mit Junior, seiner Frau und seiner 6jährigen Tochter zum Abschied in Moe´s Taverne auf ein Duffbier, während die Kleine nebenan freudig im Internet surfte…
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Sich hier in Mérida zurechtzufinden, ist für den, der zählen kann, nicht wirklich schwer… die Calles und Avenidas sind nach der klassischen Zahlenfolge durchnummeriert. So packten wir es immer wieder, wohlbehalten in der Posada zurückzukehren :) Das letzte Abenteuer nahmen wir in einem Mercado auf uns, das Tagesmenü in einem volksnahen Restaurant zu bestellen. Die Übersetzung von der Suppe möchten wir nicht wissen, wohl möglich, dass sich Stunden später der Magen noch immer rumdreht ;)
Dank Markus, welcher unsere Flugtickets von Caracas nach Quito gebucht hat, wird morgen unser erstes Kapitel der 7andessummits+ geschlossen. Dann heißt es Abschied nehmen von einem Land, welches momentan so verrufen ist, uns jedoch eine glückliche Zeit geschenkt hat. Wie Gustavo meinte, entsteht das Chaos hier in Venezuela durch die Entscheidungsunfähigkeit von Hugo, der im Sozialismus den Kapitalismus einbaut bzw. andersrum… Schade für ein reizendes Land…
Adíos Venezuela, Bienvenido Ecuador!
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Bebildert schaut alles so aus:
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